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Der Alltag von Influencern ist wie Haferflocken


Alltag von Influencern

Ein Frau sitzt mit Essen und Getränk am Küchentisch.

Posts über Essen, Deko, Möbel: Die Influencerin Charlotte punktet durch sogenannten Feel-Good-Content. © Charlotte Wiesiolek

Von Julian Theilen  · 25.12.2022

In Deutschland gibt es unzählige Influencer. Für Unternehmen sind sie zu einer lukrativen Werbefläche geworden. Müsli oder Videospiele bewerben kann mitunter aber ganz schön anstrengend sein.

Patrick aka Papfi ist ein ziemlich großer Mann. Das merkt man gar nicht, wenn er in seinen YouTube-Videos auf dem gut gepolsterten Gaming-Stuhl sitzt. Knapp zwei Meter ist er groß, breite Schultern, tiefe Stimme.

Die tiefe Stimme, wird er später sagen, haben er und seine Managerin auch als Unique Selling Point, also als Alleinstellungsmerkmal, ausgemacht. „Damals habe ich nicht erkannt, dass ein YouTuber eigentlich ein Influencer ist, weil man ja geinfluenced wird. Zum Beispiel, du spielst ein Spiel und die sagen: Alter, geiles Spiel! Ich hol es mir! Da hast du die in dem Moment geinfluenced.“

100.000 Abonnenten bis Ende des Jahres

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Papfi testet in seinen YouTube-Videos Handyspiele: Horror-Spiele, Strategiespiele, Fußballspiele — die Bandbreite ist groß. Seine Reichweite soll es irgendwann werden. Stand März 2022 hat er 12.400 Abonnenten bei YouTube. Das Ziel bis Ende des Jahres: 100.000.

Seine Fans mögen seine aufgedrehten Art. Unter seinen Videos stehen manchmal mehr als hundert Kommentare, wie: „Haha, du gehst als Killer ja richtig auf, das Game braucht noch bisschen Updates dann könnte das echt gut werden.“ Oder: „Ich gucke dieses Video und erschrecke mich alle zehn Sekunden.“ Und: „Freut mich sehr, dass du Instinct3 erhalten bleibst. Passt perfekt zur Truppe.“

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„Ich wollte schon immer coole Videos produzieren. Da gab dann auch immer mal so Tries, aber richtig hochgeladen habe ich nie etwas. Weil es für mich halt so war: Ich habe viele gesehen, die das probiert haben in meiner Umgebung, und viele sind daran gescheitert."

Die Reaktionen der Bekannten habe er dann "einfach nicht nice" gefunden. "Und dann habe ich mir gesagt: Das will ich nicht. Man sagt halt jemandem ins Gesicht: Geile Videos! Und dann hinter dem Rücken: Boah, was für ein Müll. Das fand ich dann immer sehr traurig, weil sich da jemand hinsetzt, versucht, seine Leidenschaft mitzuteilen, und wird dann so gecancelt.“

Der Kick kam während der Kurzarbeit

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Es ist gar nicht so lange her, knapp zwei Jahre, da war Papfi noch Patrick und hat eine Ausbildung zum Hotelfachmann gemacht, im Hilton-Hotel in Frankfurt. Als er während der Corona-Pandemie in Kurzarbeit geschickt wird, hat er auf einmal viel Zeit.

Von den letzten 70 Euro, die er auf dem Konto hat, kauft er das Action-Adventure-Spiel „The Last of us II“. „Das war tatsächlich der Startkick für alles, das gerade passiert ist", erzählt er. "Denn Marvin, einer meiner besten Freunde, der mich auch ultra gepusht hat bei dem Ganzen, meinte so: Ey, cool, du hast dir das Game gekauft! Stream das mal. Ich will zugucken. Und ich so: Ja, einfach an der Playstation? Er so: Ja, mach das mal! Und dann habe ich an der Playstation mit einem nicht so guten Mikrofon, halt ohne Kamera, einfach ein Stream angehauen, dass er halt zugucken kann." Dann sei ein Kumpel seines Freunds dazugekommen. "Irgendwie waren wir dann plötzlich zehn Leute, obwohl wir eigentlich drei sein sollten und dann hat man Blut geleckt.“

Dann ging alles ziemlich schnell. Papfi kauft sich eine gute Kamera, lernt mit YouTube-Tutorials ein Schnittprogramm, baut einen eigenen Kanal auf, streamt weiter und bewirbt sich bei Instinct3: ein Online-Marketing-Unternehmen in Berlin-Spandau, das bekannte Gaming-Streamer unter Vertrag hat — mit mehr als zwei Millionen Abonnenten. „Ich weiß ganz genau, als ich mich beworben habe: Wenn das was wird, dann lebe ich meinen Traum! Tag für Tag! Das würde mein Leben komplett auf den Kopf stellen.“

Ein Ausbildungsprogramm für Influencer

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„Er hat natürlich auch schon ein bisschen Vorwissen. Das hat natürlich auch geholfen, dass er schon ein paar Basics kannte“, sagt Nadine, Papfis Managerin bei Instinct3. Papfis Bewerbung war also erfolgreich. Instinct3 will auch kleine Accounts, die sie aufbauen können, nicht nur fertige Influencer. Sie haben deshalb vor einigen Jahren ein Junior-Influencing-Programm aufgesetzt, eine Art Ausbildung.

Instinct3 hat zum Beispiel den YouTube-Gamer Sterzik groß gemacht. Er war vorher Versicherungskaufmann in Hannover und spielt jetzt vor mehreren 100.000 YouTube-Abonnenten Strategiespiele.

Jetzt wird der nächste Mobile-Gaming-Hero gesucht — es soll Papfi sein. „Google hat halt gesehen, was wir damals mit dem Junior-Influencing Programm gemacht haben, und meinten so: Wir sehen, auf dem Mobile-Gaming-Markt auf YouTube gibt es super wenig Leute. Wenn, dann spielen die nur ein Spiel." Variety-Gaming, wie man es bezeichne, wenn man alles spielt, gebe es einfach nicht. Und wenn doch, seien die Kanäle so winzig, dass sie irrelevant seien. "Dann war es so: Hey, könnt ihr uns da jemanden ausbilden und da in die Richtung, dass wir uns das weiterentwickeln?“

Papfi soll der Next-Mobile-Gaming-Hero sein

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Google Play finanziert deshalb einen Teil der Ausbildungskosten, stellt Papfi Spiele im Google Play Store zur Verfügung — zum Teil bevor sie auf dem Markt sind. Teil des Deals ist, dass er nur das spielen muss, was er selber auch gut findet — also kein Produkt aufgedrängt bekommt.

Google Play und Instinct3 sehen Papfi als langfristige Investition. Als Next-Mobile-Gaming-Hero soll er in naher Zukunft die Anlaufstelle für junge Mobile-Gamer sein.

Ein Mann auf einem Spielzeugauto hält ein Spielzeug-Laserschwert oder Ähnliches in die Kamera.

"Dann leben ich meinen Traum." Influencer Papfi soll Handyspiele testen und bewerben.© Leon Jacobus

Er soll neue Spiele auf dem Handy ausprobieren und diese Spiele populär machen. Auch, weil Mobile Gaming auf dem Handy bislang noch ein Imageproblem hat, erzählt Nadine von Instinct3: Man müsse bezahlen, um Spiele durchspielen zu können, man müsse bezahlen, um schneller neue Spieletappen freizuschalten. Das seien so die gängigsten Vorurteile.

Hinzu komme das Gehabe von konventionellen Zockern auf dem PC oder der Konsole, die sagen: Auf dem Handy, das ist doch kein richtiges Gaming!

„Das ist halt eine sehr altbackene Herangehensweise, wenn sich das einfach verändert und das einfach das zugänglichste Medium ist, um mit jemandem Videospiele zu spielen, weil ein Handy halt jeder hat.“ Aber warum dafür dann einen No-Name wie Papfi einsetzen, und nicht irgendein bekanntes Gesicht, einen Schauspieler zum Beispiel, den man für eine Werbekampagne einkauft?

„Die Werbebotschaften sind immer super unauthentisch, immer sehr gescriptet." Influencer begleite man dagegen "über Wochen, Monate oder Jahre. Es ist dadurch auch viel einfacher zu sagen: Diesem Produkt kann ich vertrauen, weil es ist wie, wenn meine Mutter oder meine beste Freundin mir etwas empfiehlt. Da würde ich ja auch sagen: Okay, cool, wenn du sagst, dass es gut ist, muss es gut sein!" So ein Verhältnis hätten viele Menschen irgendwann zu Influencern oder Influencerinnen.

Emotionale Bindung zur Zielgruppe

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In der Tat scheint sich da etwas verschoben zu haben. Werbung über Influencer ist deutlich profitabler geworden als klassische Werbung. Unternehmen können genauer die Zielgruppe ansteuern, von der sie denken, dass sie zu ihnen passt.

Deshalb können kleinere Accounts aus Marketingsicht auch interessanter sein als große Accounts mit einer Million Followern. Die Followerschaft ist dann einfach nicht so heterogen. „Ich glaube, das Influencer-Marketing allgemein ist etwas, gerade wenn man die Gen Z oder die Millennials wie mich noch irgendwie erreichen will, das glaubhafter ist, wo ich mich mehr angesprochen fühle, das über eine Person zu machen, als über irgendeine Werbefigur." Man sei einfach viel näher an den Leuten dran. Es sei viel emotionaler, habe eine bessere, emotionalere Verbindung zu den Leuten.

Charlotte empfängt mich in ihrer WG in Bremen. Charlotte ist Influencerin bei Instagram.  Als ich das erste Mal in ihr Zimmer komme, habe ich das Gefühl, dass ich es schon kenne. In ihren Instagram-Stories postet sie ja täglich Fotos. "Tatsächlich ist es so, wenn die meisten Leute reinkommen, dann sagen sie, dass es bei Instagram viel größer aussieht, was ich ziemlich gemein finde." Aber vielleicht sei es das Weitwinkel-Objektiv, das sie ab und zu verwende.

Die Pilea-Pflanze auf dem String-Regal

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Durch dieses Weitwinkel-Objektiv sehen die Follower auch Charlottes Inneneinrichtung, die auf ihrem Instagram-Profil einen großen Teil ausmacht. Alte, schicke Holzkommoden, String-Regal, Übersee-Kiste — alles secondhand. „Dieser Nachtisch ist 25 Euro von Ebay-Kleinanzeigen aus Leipzig." Den Teppich habe sie auf der Straße gefunden. "Ich habe unglaublich viel auf der Straße gefunden. Bremen ist richtig krass, den Stuhl habe ich auf der Straße gefunden.“

Charlottes Insta-Name: Charliecarlsson. Stand März 2021: Knapp 77.000 Follower. Damit zählt sie zu den Mikro-Influencerinnen. Für Unternehmen ist das eine interessante Gruppe. Gute Reichweite – und die Interessen der Followerinnen sind noch ziemlich ähnlich. „Lover of coffee“ steht in Charlottes Selbstbeschreibung bei Instagram: "Vintage fashion, plant plated recipes and analoge photography.“

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„Snippets of my home“ steht bei einer Fotoreihe in der Caption, also Bildunterschrift. „More grateful than ever to call this my safe space at the moment.“ Die Sonne scheint durch das Fenster auf die eine Hälfte der Holzkommode, die andere Hälfte ist im Schatten, eine kleine Nachtlampe leuchtet. Die Pilea-Pflanze auf dem String-Regal reckt die Stängel in die Höhe.

Was wirkt wie ein zufälliger Schnappschuss, ist wohlüberlegt und macht auch richtig Arbeit. Von ihren Followern bekommt sie dafür viel Lob: „Herrlich schön!“, heißt es da. Oder: „Wie gerne ich mal rumkommen würde und mir die tollen Möbel anschauen würde.“ Und: „Hast du einen Tipp, wie man die Pileas so gut und gesund aussehen lässt?“

"Das wurde irgendwie immer größer"

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Den Alltag besonders aussehen lassen. Das ist der Reiz von Instagram, das so auch die klassische Hierarchie von Sender und Empfänger aufbricht. Jeder ist Teil der Community, stellt Fragen, bekommt sie beantwortet.

So gibt Charlotte mehr und mehr von sich preis. „Ich mache relativ viele Storys, wenn ich Fahrrad fahre. Ich habe zwei Rennräder und fahre sehr viel Fahrrad. Wenn ich unterwegs bin, dann kommt so das Lied, was ich aktuell am meisten höre, auch in meine Story und auch in meine Playlist. Da schreiben mir auch mittlerweile Leute drauf. Das macht Mega-Spaß, wenn mir Leute sagen: Du hast einen guten Musikgeschmack. Das ist nochmal so ein Next-Level-Kompliment.“

Charlotte hat sich schon 2011 bei Instagram angemeldet, die App aber erst nur zur Bildbearbeitung benutzt: Filter drauflegen, Fotos wärmer wirken lassen. Dann tastet sie sich langsam auch an Hashtags ran, ihre Reichweite steigt. „Ja, und das ging dann irgendwie immer weiter und wurde immer größer. Dann gab es tatsächlich mal so einen Moment, wo ein Unternehmen auf mich zugekommen ist. Die wollten, dass ich Bilder für die mache, von deren Inneneinrichtungsartikeln. Dann ging es darum, die Gegenstände schön zu inszenieren und die auf einem Blogeintrag vorzustellen, mich selber als Person vorzustellen, wer ich bin. Von da an war es ein bisschen wie ein Schneeballeffekt. Es wurde immer mehr.“

Essen fürs Auge

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Als sich Charlotte mit ihren privaten Vorlieben immer mehr exponiert, dass sie Veganerin ist zum Beispiel, schicken ihr einige Unternehmen vegane Produkte zu: Fleischersatzprodukte, vegane Schokoriegel — erst einmal nur zum Testen. Gefällt Charlotte das Produkt, kommt es zu einer Kooperation. Wie zum Beispiel mit dem Vitamin/Nahrungsergänzungshersteller „Sunday Natural“, das sogenanntes Superfood verkauft, zum Beispiel Blaubeerpulver für Porridge, das Charlotte so gerne isst.

Charlotte richtet das Porridge an: Dafür muss sie erst einmal all die Requisiten rausholen, die sie für ihre Fotos braucht und zum Teil extra dafür angeschafft hat: schönes Besteck, handgemachte, verzierte Bowls und Müslischüssel aus Keramik. Dann Blaubeerpulver in den Kokosnuss-Joghurt mischen, Müsli und geschälte Äpfel dazu, ein paar Cranberries drüberstreuen. Farbe und Form müssen stimmen, es ist ja bei Instagram ein Essen für das Auge.

Wenn alles passt, das Blaubeerpulver in einer Dose daneben gut platziert ist, zwei Kerzen für die Atmosphäre, dann geht das Fotografieren los. Bis zu 100 Bilder macht Charlotte. Die besten zieht sie in ihr Fotobearbeitungsprogramm. Jetzt schreibt Charlotte eine Caption. Dann geht die Feedbackschleife erst los: Sie legt den Post „Sunday Natural“ vor und die geben ihre Verbesserungswünsche durch: Die Brand sollte noch besser zu sehen sein. Kannst du auch noch ergänzen, dass Blaubeeren viele Antioxidantien haben?

Erst nach der Überarbeitung geht der Instagram-Post auf Charlottes Profil raus, mit dem Gutscheincode „Charlie10“ für jeden Follower. Das heißt, jeder, der über Charlottes Profil zu „Sunday Natural“ kommt, erhält zehn Prozent Rabatt, und Charlotte eine Provision.

Platz 6447 in den Influencer-Charts

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100 Fotos aus unterschiedlichen Perspektiven und mehrere Feedbackschleifen – das alles für einen Post. Charlotte zieht das häufiger durch, aber es ist ihr anzumerken, dass sie das manchmal auch absurd findet. 77.000 Follower wollen ihren Content regelmäßig sehen.

Was heißt das aber? Ist das, verglichen mit anderen Influencerinnen, viel? Und: Ist es damit erfolgreich? Wir fragen einen, der es wissen muss. „Das erste Wichtige, was wir dort bei dem Profil sehen: Es scheint echt zu sein. Bedeutet: hoher Prozentsatz an authentischer Zielgruppe, sehr gute Like-Aktivität“, sagt Sascha Schulz, Kommunikations- und Digitalexperte, während er Charlottes Profil in einem Online-Programm, das sämtliche Daten über Influencer ausspuckt, anguckt: ihre Reichweite, die Interaktionsrate auf ihrem Account, Interessen ihrer Follower. Eine Art Influencer-Charts quasi.

Schulz hilft Unternehmen so dabei, ihr Marketing mit Influencern auszubauen. „Und wir sehen dann, dass Charlotte in Deutschland so ungefähr auf Platz 6500 und rund auf dem 1000. Platz Richtung Lifestyle ist, was gemessen an der Größe von Deutschlands schon ein sehr guter Wert ist, finde ich.“

Schulz sieht auch, dass ein Großteil der Followerinnen von Charlotte weiblich ist, auf Fashion, Naturlandschaften und Design steht. Nur 28 Prozent ihrer Followerinnen sind deutschsprachig. Das könnte auch erklären, warum Charlotte ihre meisten Posts auf Englisch macht.

„Grundsätzlich würde ich erst einmal sagen: Ich würde definitiv Charlotte empfehlen", so Schulz. "Weil die Erreichbarkeit von Charlottes Account sehr hoch ist. Die liegt bei 93,4 Prozent. Das bedeutet, diese Follower, die sie hat, die sind relativ klein, die haben Zeit, sich ihre Posts anzugucken. Damit liegt sie weit über dem Durchschnitt, denn der liegt nur bei rund 80 Prozent.“ Für Unternehmen sind diese Daten relevant. Denn nur so können sie entscheiden: Lohnt sich eine Kooperation? Treffen wir die Zielgruppe? Wie viel sind wir bereit zu zahlen?

80 bis 100 Euro Stundenlohn

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Charlotte nimmt sich, sagt sie, für einen Werbepost wie für „Natural Sunday“ zu Blaubeerpulver mindestens einen ganzen Arbeitstag. Wie viel sie dafür bekommt, will sie nicht sagen.

"Natural Sunday" äußert sich auch nicht. Digitalexperte Schulz wagt eine Prognose: „Ich glaube, wenn man alle Posts nimmt und alle Werbespots wirklich berechnet, die da anfallen, ich denke, da kommt man so auf 80 bis 100 Euro pro Stunde. Ich glaube, das ist ungefähr das, was auch eine freiberufliche Grafikerin im unteren Segment verdient.“

Vielleicht kann man es auch gar nicht so genau berechnen. Denn damit Charlotte überhaupt Kooperationen angeboten bekommt, muss sie jeden Tag an ihrer Reichweite schrauben, eine Community aufbauen und pflegen, immer wieder hübsch aufbereitetes Essen posten, um sich in der Food-Bubble von Instagram zu etablieren. Und das kann manchmal ganz schön stressen.

Eine junge Frau schaut auf ihr Smartphone, in der anderen Hand trägt sie eine Tasse: Influencerin Charlotte Wiesiolek.

Jeder Moment des Lebens wird mit dem Smartphone festgehalten.© Charlotte Wiesiolek

Andererseits: Mit dem Geld für die Müsli-Posts kann sich Charlotte ihr WG-Zimmer finanzieren und ihr Studium. Sie schließt gerade den Master in Medien, Kultur und Globalisierung ab. Und ab und zu, als kleiner, schöner Bonus, finden noch kostenlose Testprodukte den Weg in den WG-Kühlschrank. „Das heißt, wenn ich Essen zugeschickt bekomme, freuen sich immer alle. Das ist super. Dann essen immer alle mit.“

40.000 Fotos waren plötzlich weg

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Charlotte hat sich also eigentlich ganz gut eingerichtet in ihrem nebenberuflichen Influencer-Dasein. Sie kann noch sie selbst sein, denkt sie. Auch wenn schon erste Zweifel in ihr schlummern: Ist es ein Job mit Perspektive? Gibt es Instagram in paar Jahren überhaupt noch?

Dann, Anfang dieses Jahres, wird plötzlich ihr Handy geklaut. Mitten auf der Straße in Bremen. „Das krasse daran war, dass ich ungefähr 40.000 Fotos drauf hatte, die ich nicht gesichert hatte und alle verloren habe. Damit war das Material der ganzen letzten zwei bis drei Jahre weg.“

Für Charlotte fühlt es sich so an, als wäre auch ein Teil ihrer Identität gestohlen worden. Schließlich hat sie in den letzten zehn Jahren täglich Fotos geschossen und hochgeladen. Was sind die Momente noch wert, wenn sie nicht festgehalten werden? „Ich lebe ja schon auch durch die Kamera meines Handys ab und zu.“

Charlotte kauft sich zwar sofort ein neues Handy, rührt es aber erst einmal nicht an. Denn als der erste Schock verdaut ist, merkt sie: Hoppla, eigentlich geht es ihr auch ganz gut ohne Handy und Instagram. Und jetzt, wo es in die Endphase ihrer Masterarbeit geht, ist zu viel Ablenkung sowieso nicht gut. „Und das war eine ganz spannende Erkenntnis, weil ich gemerkt habe, dass ganz viel Ruhe in meinen Alltag gekommen ist. Ich habe mich auch im Privaten noch einmal neu erlebt und fand das ziemlich gut. Ich habe auch mal gemerkt, dass es auch mal schön ist, nicht alles mitzuteilen, sondern manche Dinge einfach für sich zu erleben. Ein leckeres Essen zu kochen, ohne es zu dokumentieren oder ein gutes Buch zu lesen, ohne ein: Oh, ich lese jetzt hier im Bett ein Buch.“

Kämpfen, kämpfen, kämpfen

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CrispyRob ist zu Besuch bei Instinct3, Papfis Agentur. Er hat zwei Millionen Abonnenten bei YouTube, 850.000 Follower bei Instagram. Mit Reise-Video-Blogs und Kochrezepten. Eine eigene Kartoffelchips-Marke hat CrispyRob auch.

Was die Reichweite angeht, ist CrispyRob da, wo Papfi hinwill. Nun wurden beide von einem bekannten Video-Spiel für eine Kampagne ausgewählt. Während CrispyRob von seinen Anfängen als YouTuber erzählt, wie er auf fremden Couches geschlafen hat und so, um tagsüber zu schneiden, hört Papfi begeistert zu. „Voll motivierend. Auf jeden Fall, klar. Ich mein: 2013, da war ich gerade in der Schule noch. Da haben die auf der Straße gelebt für YouTube. Das erste, was mir da in den Kopf kommt: wie krass man sich den Arsch aufreißen sollte.“  

Ein Mann hält drei Smartphones in die Kamera.

Ein Fulltime-Job mit dem Risiko, keinen Cent zu verdienen: Papfi möchte es als Influencer schaffen.© Malte Kahra

„Es ist mehr als ein Fulltime-Job, würde ich sagen, auf jeden Fall. Besonders der Anfang! Der ist halt undankbar. Da musst du halt erst einmal hustlen, hustlen, hustlen. Wenn jemand sagt: Ihr verdient ja auch so gut. Ja, dann musst du auch erst einmal mit dem Risiko leben, jahrelang kein Cent zu verdienen.“ Ein erfolgreiches Video bringt CrispyRob heute zwischen 1000 und 6000 Euro, sagt er. An so einem Video sitzt er dann aber auch bis zu 30 Stunden. Ob das Kampagnen-Video der beiden auch performen wird? Zusammen gehen CrispyRob und Papfi das Skript durch, üben den Text ein.

Schnell und verwirrend, das gefällt

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Die erste Szene des Videos will Papfi so aufbauen wie ein TikTok-Video, mit dem er viral gegangen ist. Vier Millionen Views hat es bekommen. In dem TikTok-Video trägt er eine absurd kleine Sonnenbrille, bekommt eine Gurke mit Senf in den Mund gesteckt und düst im Auto ab. Schnell und verwirrend, das gefalle den Leuten bei TikTok, sagt Papfi. Die Leute mitnehmen, auf sie eingehen: Das hört man sehr oft von Influencern. Weil sie wissen, dass sie ihre Follower binden müssen, ihre Klickzahlen über den eigenen Erfolg entscheiden.

Dafür sind Influencer auch bereit, private Einblicke zu geben. Papfi will nun mit einer persönliche Fitness-Challenge online gehen. Wie er ins Fitnessstudio geht, sich gesunde Sachen kocht. 20 Kilo will er so abnehmen und sich dabei öffentlich begleiten lassen.

Die Idee pitcht er seiner Managerin Nadine morgens in einem Call. „Vielleicht macht ja der eine oder andere auch mit. Vielleicht einen Twitter-Hashtag aufmachen. Ich habe zum Beispiel gedacht: Die Leute wissen ja, dass mein Rücken kaputt war, dass ich vielleicht sag: Das heißt die #Papfrückchallenge, wegen dem Rücken. Dass ich da immer mal kleine Updates raushaue, was da so der Stand ist, was ich auf der Waage habe und so.“

Gratwanderung zwischen den Identitäten

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Nadine zögert noch etwas. „Ich find das mega, mega gut und wichtig. Das weißt du auch. Wichtig ist halt, dass du es für dich machst und nicht eine Erwartungshaltung nach außen gibst und dich dann unter Druck gesetzt fühlst oder schlecht fühlst, weil du es dann nicht erfüllt hast.“ Auch sie weiß: Das Ganze kann auch zur Luftnummer werden.

Wenn Papfi nach zwei Wochen Fitness-Studio hinschmeißt und damit vielleicht neu hinzugewonnene Follower wieder verliert. Wie bei Charlotte ist es immer eine Gratwanderung, wenn digitale und analoge Identität verschwimmen. Papfi testet Video-Spiele. Patrick dagegen will abnehmen, was für seinen Rücken tun. Nun aber will er seine analogen Themen auch ins Digitale hieven. Zum einen, um sich selbst anzuspornen, wie er sagt. Zum anderen, um andere zu motivieren mitzumachen. Und weil es schließlich auch auf Papfis Konto einzahlt, wenn Patrick sich privat öffnet, ist die Managerin am Ende an Bord.

„Schlussendlich ist es wie in jeder Beziehung, die wir mit Menschen haben. Wenn ich dir etwas erzähle von mir privat, erzählst du mir a) eher etwas von dir oder denkst: Mensch, die ist mir jetzt auf einmal sympathischer! Und das ist auf jedenfalls tatsächlich ein ganz normaler psychologischer Effekt. Desto besser wir eine Person kennen und wissen, wie wohnt die, wie isst die, wie macht die Sport, was ist die Meinung der Person zu bestimmten Themen, desto näher fühlen wir uns.“

In drei Wochen mehrere Hundert Follower verloren

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Es ist der 8. März, Internationaler Frauentag, und Charlotte bereitet sich für die Demonstration in Bremen vor, an der sie teilnehmen will. „Feuer und Flamme dem Patriarchat“ und „Schöner Leben ohne Macker“ steht auf dem Plakat ihrer Freundin. Die Fotos der Demo teilt sie auf Instagram.

Charlotte ist zurück. Kurz bevor sie ihre Masterarbeit abgegeben hat, hat sie sich wieder regelmäßig bei Instagram eingeloggt. Sie hat schon zu viel investiert in ihren Account, ihre Reichweite, um jetzt loszulassen. Es ist eben ihr Job, sagt sie, er bringt Geld, und Social-Media-Erfahrung ist mittlerweile für viele Jobs Grundvoraussetzung.

In den knapp drei Wochen, in denen Charlotte komplett off war, hat sie mehrere Hundert Follower verloren, und die politischen Posts, die sie heute machen will, versprechen nicht unbedingt neue. Denn: Politische Statements, weiß Charlotte, stuft Instagram im Algorithmus runter. Sie stören wohl den Feel-Good-Content der Plattform, der ja auch dazu dient, die User möglichst lange zu binden.

Je länger User online sind, umso mehr Interaktion findet statt, umso mehr kann beworben werden. Die politischen Influencer versuchen, sich irgendwie darauf einzustellen.

Schweigen in der Influencer-Szene

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„Dass mittlerweile bestimmte Personen mit einer großen Reichweite, die sich zu politischen Themen äußern, auch immer wieder darauf aufmerksam machen, dass es auch wichtig ist, jetzt hier auch mal kurz einen banalen Clip von ihrem Hund hochzuladen, weil Instagram diesen Hundeclip eine höhere Reichweite gibt, was daraus resultiert, dass die politischen Clips danach auch mehr gesehen werden."

Das werde dann auch dazugeschrieben, erzählt Charlotte. "Das ist eine Art Strategie, die ich anwende. Hier ist kurz mein Hund, so. Aber jetzt muss ich wieder über diese Missstände reden." Für Charlotte wirft das Fragen auf: Ist Instagram ein Ort für politische Diskussion oder wofür ist es eigentlich ausgelegt?

Insta-Story-Ausschnitt: Foto einer jungen Frau. Darunter Text.

"Dein Leben ist offline", schreibt Charlotte. Sie zweifelt an ihrem Job als Influencerin.© Instagram @charliecarlsson

Als Russland einen Angriffskrieg auf die Ukraine startet, bricht in der Influencer-Szene eine Diskussion aus: Sollten wir noch Unterwäsche, Haferriegel und Perlenschmuck bewerben, wenn in der Ukraine gerade Menschen sterben?

Für einige Tage herrschte dann in Instagram-Storys peinlich berührtes Schweigen, dann ging es weiter mit Business as usual. Ich finde, mit einer gewissen Reichweite kommt eine gewisse Verantwortung", meint Charlotte. "Wenn man eine gewisse Reichweite hat und auf Missstände in der Gesellschaft aufmerksam machen kann, dann würde ich jetzt nicht sagen, ist es eine Pflicht, aber es ist auf jeden Fall ultra notwendig zu reflektieren: Was für Beiträge kann ich teilen, die etwas bewirken können?"

Gleichzeitig müsse man sich auch klar sein: Ich bin keine Expertin auf dem Gebiet. "Sich einzugestehen: Was kann ich leisten und was wiederum ist auch gar nicht in meinem Bereich? Und ich glaube, es ist trotzdem auch wiederum legitim, dem Job nachzugehen, nach wie vor. Ja, es ist eine Sache von Abwägen. Ich kann als Followerin ja dann auch entscheiden: Will ich der Person jetzt noch folgen, oder nicht?“

Charlotte braucht ein Korrektiv

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Charlotte macht zwar gelegentlich auf Instagram politische Statements oder schreibt Posts zu mentaler Gesundheit. Sonst gibt es bei ihr aber nach wie vor hauptsächlich sogenannten Feel-Good-Content. Und man merkt, dass sie noch immer Spaß an der Plattform hat, ihren Alltag zu teilen, Bestätigung zu bekommen.

Ihre Bachelor und Masterarbeit aber hat sie über die Nachteile von sozialen Netzwerken geschrieben. „Ich habe mich auf wissenschaftlicher Ebene immer eher mit den Gefahren, mit der Kritik, mit dem Potenzial für eventuelle Radikalisierungsprozesse oder was auch immer alles Doofes passieren kann über soziale Medien befasst, weil ich irgendwie das Gefühl hatte: Ich brauch so eine Art Gegenstück. Ich muss soziale Medien auch kritisch betrachten, ich muss das reflektiert sehen.“

Wenige Wochen nach unserem Treffen teilt Charlotte einen Ausschnitt aus dem Podcast von Emma Chamberlain. Eine erfolgreiche, junge Videobloggerin in den USA, die über ihre Sinnkrise bei Instagram reflektiert. Charlotte stimmt ihr in einer Texttafel zu, beklagt den Druck, immer neuen kreativen Content schaffen zu müssen, um relevant zu bleiben. Vielleicht sei sie ja nicht für diesen Job gemacht, sinniert sie weiter. Mal sehen, was die Zukunft so bringe.

Ihre nachdenkliche Story-Reihe endet sie dann mit einem Foto vom Essen, das sie heute hatte: Linsen-Pfannkuchen mit Erdnussbutter und Kimchi.

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Author: Steven Hebert

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